Emma Hinze: Die zwei Schnellsten reisen nach Tokio

Emma Hinze ist ein sensationeller Start ins Jahr 2020 gelungen: Die 22-jährige Bahnradfahrerin holte bei den Weltmeisterschaften in Berlin gleich drei Goldmedaillen. Wie sie ihre Parade-Disziplin gefunden hat und warum sie mit der Verschiebung der Olympischen Spiele relativ entspannt umgehen konnte, verrät sie im Interview mit der Deutschen Sportlotterie.
Emma Hinze, wo erreichen wir Dich gerade?
Ich bin aktuell auf Rhodos. Hier bin ich im Trainingslager, mit dem wir den ersten Block der Saison setzen. Das bedeutet, dass wir viel Grundlage fahren, viele Kilometer auf der Straße abspulen. Es ist das einzige Trainingslager im Jahr, bei dem wir so viel fahren. Danach gestaltet sich das Training viel spezialisierter auf der Bahn und im Kraftraum.
Du sprichst von „wir“. Wer ist alles mit vor Ort?
Wir, das sind die Sportler der Damen- und Herren-Nationalmannschaft. Eigentlich trainieren wir immer alle zusammen als Gruppe – das ist bei uns nicht getrennt, wie zum Beispiel bei den Ausdauerfahrern. Aktuell sind zehn Sportler und vier Betreuer vor Ort.
Ist dieses Trainingslager auf der Straße etwas, was Du gerne machst, oder für eine Bahnradfahrerin eher lästige Pflicht?
Also tatsächlich war ich vorher der Meinung, dass ich das überhaupt nicht mag und nicht kann, aber nach den ersten Eindrücken finde ich es gar nicht so schlimm. Es ist natürlich ungewohnt, so zu trainieren, aber vollkommen in Ordnung. Außerdem ist es durch Corona wirklich schon lange her, dass wir mal ein Trainingslager im Ausland hatten. Von daher ist es echt schön, hier sein zu können.
Wie bist Du eigentlich zum Bahnradsport gekommen?
Das hat sich durch meine Eltern entwickelt. Beide sind hobbymäßig Mountainbike gefahren und dadurch hatte ich einen Bezug zum Radsport. Als ich klein war, haben wir uns gemeinsam Straßenrennen angeschaut. Das hat mich inspiriert, sodass ich das selbst einmal ausprobieren wollte und dann dabeigeblieben bin. Im Alter von sechs oder sieben Jahren habe ich angefangen und bin dann erst einmal ganz lange auf der Straße gefahren. Mein Papa ist mit meinem Bruder und mir an den Wochenenden zu verschiedenen Rennen in ganz Deutschland gereist, an denen wir teilgenommen haben. Das war eine coole Erfahrung, aber ich war nie so richtig gut, weil meine Stärke eher im Sprinten lag.
Und in diese Disziplin bist Du dann gewechselt?
Genau, aber es war eher ein Zufall, dass ich im Sprint gelandet bin. 2013 waren die Deutschen Meisterschaften, bei denen ich in einer Ausdauerdisziplin starten sollte. Mein Vater hat mich gefragt, ob ich nicht einfach mal die Kurzzeit-Disziplin testen möchte. Zwar hatte ich noch nie dafür trainiert, aber ich dachte mir „warum nicht?“. Ich habe es also einfach mal ausprobiert, wurde auf Anhieb Zweite im Sprint und Dritte im 500-Meter-Zeitfahren. Es war also offensichtlich, dass mir das mehr liegt. Ein Trainer aus Kaiserslautern hat mich daraufhin angesprochen, ob ich nicht dort aufs Internat kommen möchte, da ich Talent hätte. Das habe ich ausprobiert, bin einen Monat später dort hingezogen und nicht einmal ein Jahr später sind wir Weltmeisterinnen im Teamsprint geworden. Danach bin ich dann nach Cottbus gewechselt. In dieser Phase habe ich gemerkt, dass Sprintdisziplinen das sind, was ich eher kann und mag.
Im Februar 2020 hast Du gleich drei WM-Titel in Berlin geholt. Damals noch vor Publikum. War ein Erfolg in diesem Ausmaß zu erwarten?
Bei den Weltcups zuvor ist es mir zwar gelungen, bei jedem Start eine Medaille zu erringen, aber im Sprint habe ich nie Gold geholt, sondern immer nur Silber. Deswegen war es schon mein Ziel, die Erfolge der Weltcups zu wiederholen. Aber war mir natürlich auch bewusst, dass es eine WM ist und das ist ja durch die Dichte wirklich guter Athleten noch einmal ein anderes Level. Daher war ich mir im Vorhinein nicht sicher, ob das klappt – schon gar nicht, dass ich in allen drei Disziplinen, in denen ich gestartet bin, gewinnen würde.
Wie hat sich das angefühlt?
Zu Beginn im Teamsprint war es schon unglaublich, dass wir im Halbfinale die schnellste Zeit hatten. Das hat uns so gepusht, dass wir gewinnen wollten. Und zum ersten Mal das Trikot bei den Erwachsenen anzuhaben, was für mich damals noch neu war, war richtig schön. Als ich zwei Tage später im Sprint gewonnen habe, war das der emotionalste Sieg für mich. Da habe ich richtig angefangen, zu weinen. Ich konnte diesen Erfolg gar nicht fassen, denn im Weltcup hatte ich wie gesagt in dieser Disziplin immer nur Silber geholt. Dann bei der WM ganz oben zu stehen war etwas ganz Besonderes. In der letzten Disziplin, dem Keirin, habe ich überhaupt nicht mehr damit gerechnet, vorne mitfahren zu können. Morgens dachte ich noch, dass meine Beine nicht mehr gut sind. Ich war durch die Vortage echt kaputt. Aber als ich auf dem Rad saß, habe ich darüber gar nicht mehr nachgedacht und es lief einfach wie von selbst. Es war insgesamt einfach überwältigend.
Wie hart war danach der Cut durch Corona und wie bist Du damit umgegangen?
Bereits während der WM war Corona schon ein Thema, über das ein bisschen gesprochen wurde. Damals hätte aber noch niemand gedacht, dass es wenige Wochen später ein solches Ausmaß annehmen würde. Unterm Strich hatten wir großes Glück, dass die WM überhaupt noch stattfinden konnte. Danach kam es trotzdem sehr überraschend, dass die Situation eine solch drastische Wendung angenommen hat und sogar die Olympischen Spiele verlegt werden mussten. Ich glaube, ich war ein oder zwei Tage etwas niedergeschlagen, bin aber sehr schnell aus diesem Tief wieder herausgekommen. Denn ich habe mir gedacht, ich bin erst 22 Jahre alt, daher habe ich noch Zeit und ist es egal, ob ich im Alter von 22 oder 23 Jahren an Olympia teilnehme. Da ich den Sport sowieso noch ein paar Jahre machen möchte, war das für mich nicht so ein großes Problem, sondern einfach nur eine Umstellung.
Stimmt es, dass Dich im Laufe des Jahres eine Knieverletzung ereilt hat?
Ja, Anfang des Sommers. Zunächst dachte ich, dass die Schmerzen vielleicht vom Schuh bzw. der Einstellung des Schuhs hervorgerufen worden sein könnten. Als es aber immer schlimmer wurde und ich nicht mehr richtig treten konnte auf dem Rad, war ich bei mehreren Ärzten und musste meinem Knie eine Zeit lang Ruhe geben. Inzwischen habe ich das wieder im Griff, aber es hat bestimmt bis November gedauert bis wirklich alles wieder in Ordnung war. Für mich und meinen Kopf war das eine große Herausforderung, denn Geduld ist nicht so meine Stärke – Ruhe auch nicht. Aber so gesehen war es ja ganz gut, dass Olympia verschoben worden war, denn dadurch hatte ich die Zeit, mich zu regenerieren. Es fanden keine Rennen statt und ich konnte mich wirklich darauf konzentrieren, wieder ganz gesund zu werden.
Ziel Olympia – wisst ihr, wie das Jahr bis dahin grob aussehen wird?
Unser Bundestrainer hat eine vorläufige Jahresplanung an uns rausgeschickt. Aber ob dann alles so stattfinden kann, wie es dort geschrieben steht, muss man natürlich abwarten. Niemand kann zum Beispiel absehen, ob die drei Nations-Cups, die eigentlich vor den Olympischen Spielen wären, wirklich stattfinden können. Auf jeden Fall sind wir als Team Deutschland für Olympia qualifiziert. Von drei möglichen Fahrerinnen dürfen dort aber nur zwei antreten, sodass wir bis zur finalen Entscheidung noch einmal gute Zeiten anbieten müssen. Die vergangenen zwei Jahre, in denen wir uns für Olympia qualifiziert haben, werden auch berücksichtigt, aber auch in diesem Jahr werden noch ein paar Überprüfungen gefahren, denn natürlich möchte der Bundestrainer die zwei Schnellsten nach Tokio schicken.