Andreas Niedrig: Eigenverantwortung erkennen, Dinge tun

Es hat sich gar nicht so viel verändert, außer, dass es keine Wettkämpfe gibt. Im Oktober könnte noch ein Halb-Ironman-Rennen in Luxemburg stattfinden. Da bin ich gemeldet, würde gerne starten und der Veranstalter sagt, momentan sehe es sehr gut aus, dass das Rennen stattfinden kann. Ich kann es mir noch nicht wirklich vorstellen, wie im Oktober irgendwo geschwommen werden soll – vielleicht wird es auch ein Duathlon ohne Schwimmen. Nicht meine liebste Disziplin, aber das wäre mir total egal, Hauptsache, es findet endlich wieder ein Wettkampf statt. Aktuell trainiere ich, aber mehr so nach Lust und Laune und nicht wettkampforientiert.
Erstmals in seiner Geschichte wurde der Ironman auf Hawaii abgesagt. Wie gehen die Beteiligten damit um?
Für uns Altersklassen-Athleten ist das nicht so schlimm. Das ist eher bei den Profi-Athleten der Fall, die mit diesen Wettkämpfen ihr Geld verdienen – in Deutschland zum Beispiel Jan Frodeno und Anne Haug, die letztjährigen Ironman-Sieger von Hawaii, die von ihrem Sport sicherlich gut leben können. Und es gibt ganz viele Athleten, die in der zweiten Reihe stehen und darauf angewiesen sind, stets zu sehen zu sein. Für sie ist die Absage der Super-GAU, da werden ganz viele Probleme bekommen.
Du hast deinen letzten Ironman als Profi vor drei Jahren bestritten. Wie sind seitdem deine Ambitionen bei den Wettkämpfen, speziell auf Hawaii?
Für mich ist es inzwischen eher ein Lebenshighlight mit Reisen und Spaß haben. Natürlich möchte ich im Rennen meine bestmögliche Leistung abrufen, aber dadurch, dass im kommenden Jahr bei mir unfassbar viele berufliche Dinge anstehen, habe ich dankend das Angebot der Ironman-Cooperation angenommen, dass ich meinen Qualifikationsplatz nicht 2021, sondern 2022 wahrnehmen darf. Dann bin ich zum ersten Mal in der Altersklasse 55/60. Für mich ist das eine große Herausforderung, denn ich möchte versuchen, in dieser Altersklasse Weltmeister zu werden. Mit diesem Weltmeistertitel würde ich mich gerne aus der Langstrecke zurückziehen, weil ich in den letzten Jahren schon gemerkt habe, dass der Sport an meinem Körper gezehrt hat und ich Verletzung hatte, die ich aus dem Profisport gar nicht kannte. Hinzu kommt die berufliche Belastung. Ich bin viel unterwegs, habe nicht mehr so die Zeit, mich auszuruhen. Beim Radfahren, Laufen und Schwimmen habe ich aber immer noch den Anspruch, fast so gut wie möglich alte Leistungen zu bringen – im Schwimmen und Radfahren kann man das schaffen, im Laufen ist es unrealistisch. Und wenn dann Verletzungen kommen, hinterfragst du den Sinn. Dementsprechend werde ich 2022 noch eine Langstrecke absolvieren, werde bestimmt noch häufig in olympischen Distanzen an den Start gehen, ein paar Läufe machen, Langstrecken schwimmen und vielleicht das Race Across America bestreiten. Insofern: Für mich hat es keine großen Auswirkungen, für die Profis ist es der Super-GAU – ähnlich wie die Verschiebung der Olympischen Spiele.
Hast du Kontakt zu Sportlern, die in Tokio dabei gewesen wären?
Ja, der beste Freund meines Sohnes ist 400-Meter-Läufer und wäre bei Olympia gestartet. Nun ist sich niemand wirklich sicher, ob die Olympischen Spiele im kommenden Jahr stattfinden. Es gilt erst einmal, den Herbst und den Winter abzuwarten. Für die Sportler ist diese Situation eine riesige Herausforderung. Ich kann mir vorstellen, dass ganz viele in ein Loch fallen, aus dem sie gar nicht so leicht wieder herauskommen. Da tun mir nicht nur die Triathleten leid, sondern alle Sportler, die ihrem Sport mit Leidenschaft und Hingabe machen und die darauf angewiesen sind, sich zu zeigen.
Gibt es positive Aspekte, die wir aus der Zeit mitnehmen können?
Es war am Anfang schon so, dass ich beim Joggen gemerkt habe, dass unfassbar viele Menschen im Wald spazieren gegangen sind. Früher, als Kind, bist du immer sonntags mit der Familie spazieren gegangen. Heutzutage ist das anders. Wenn du vor Corona im Wald warst, hast du keine Kinder mehr gesehen. Auch so waren samstags und sonntags kaum Familien draußen. Das fand ich unglaublich schade. Als Corona anfing, habe ich beobachten können, dass sich unwahrscheinlich viele Menschen im Wald aufgehalten haben. Es wurde verstecken gespielt, man hat Kinder rufen und lachen gehört. Auf den Parkplätzen der Supermärkte hast du wieder Kinder gesehen, die das Rollschuh-, Inlineskates- oder Fahrrad-Fahren gelernt haben. Für die Kinder ist es ein riesiger Zugewinn. Die Eltern, die das erkannt haben, haben ihren Kindern etwas sehr Gutes getan. Auch für die Natur gibt es positive Aspekte. An den Küsten ist das Wasser wieder ganz klar, Delfine und Wale trauen sich wieder ganz nah an die Küsten heran – das eröffnet einen anderen Blick auf uns Menschen. Wir machen alles kaputt, verreisen ohne Rücksicht auf Verluste, nutzen die Ressourcen aus. Das hat sich nun ein wenig beruhigt. Ich glaube, dass wir in vielen Bereichen demütiger mit der Zeit und mit dem, was wir haben, umgehen sollten. Das zu beherzigen, wird auch im Nachgang eine große Chance sein.
Du bist auch als Speaker im Bereich Change-Management aktiv. Was gibst du Menschen allgemein in dieser Zeit mit?
Es ist ein ganz wichtiger Punkt, zu erkennen, dass uns eine Krise nicht in allen Lebensbereichen beeinträchtigt. Natürlich ist es so, dass meist das Negative vom Gefühl her überwiegt und das Positive ein wenig verblasst. Wenn wir nicht lernen, das Positive in den Vordergrund zu ziehen und im Negativen leben, haben wir ein Riesenproblem. Dann wird Corona uns überrollen und unser Leben beeinträchtigen. Dann werden wir einfach eine negative Zeit haben.
Wie legt man den Schalter im Kopf um?
Ein ganz wichtiger Punkt: die Eigenverantwortung erkennen. Wir müssen eigenverantwortlich in unserem Leben handeln und dürfen uns nicht zu sehr beeinflussen lassen durch äußere Faktoren, die uns natürlich in vielen Bereichen, aber eben nicht in unserem ganzen Leben einschränken. Wir wachen jeden Morgen auf, uns wird ein neuer Tag geschenkt. Und wir haben jeden Morgen die Chance, eine Ist-Situation herzustellen, um unsere Zukunft zu beeinflussen. Wir müssen immer wieder aufs Neue überprüfen, welche Rolle wir in dieser Welt spielen. Und wenn Corona unsere Arbeitswelt so einschränkt, dass wir nicht arbeiten können, dann müssen wir entscheiden, ob wir verharren und warten, oder ob wir uns etwas Neues trauen. Daraus sind ganz viele Start-ups und neue Ideen entstanden. Es hat nicht jeder geschafft, aber viele haben umgedacht. Mein Radbekleidungshersteller aus Belgien zum Beispiel hat ganz schnell umgeschaltet und Behelfsmasken hergestellt. Damit haben sie einen Teil der Verluste auffangen können.
Das klingt in der Theorie recht simpel, erfordert in der Praxis aber auch Mut und ein hohes Maß an Eigenmotivation. Was kann einem in schwierigen Situationen dabei helfen, entscheidungsfreudig und positiv zu sein?
Ein ganz wichtiger Punkt ist es, Dinge zu visualisieren, Sachen aufzuschreiben, ein „Erfolgstagebuch“ zu führen. Also ein Tagebuch der Dinge, die ich tatsächlich schaffe. Wenn wir aufschreiben, was wir im Alltag schaffen, sind es trotz all der Einschnitte ganz schön viele Dinge. Im Kopf all das zu behalten, was am Tag positiv läuft, ist am Ende relativ schwer. Und wenn wir das aufschreiben, visualisieren wir es und es kommt ganz anderes im Herzen an.
Machst du das selbst auch?
Ja, und zwar folgendermaßen: Ich habe ein Buch, in dem ich jeden Morgen meine Startmomente notiere. Also, was ich am Tag alles machen möchte. Das können auch unangenehme Dinge sein. Am Abend frage ich mich: Was habe ich von den Startmomenten zu Zielmomenten gemacht? Da komme ich an Punkte, an denen ich mich darüber freue, was mir alles an dem Tag gelungen ist. Meine Zielerreichungs-Klappkarte ist hierfür auch ein tolles Mittel, um sich darüber klar zu werden, dass wir trotz der schwierigen Situation ganz viele tolle Dinge umsetzen. Letztendlich ist das Erfolgsrezept, die Dinge, die man im Kopf hat, auch zu tun. Dieses „tun“ kann man als umgedrehte Abkürzung betrachten: n-u-t = nicht unnötig trödeln. Wir haben nicht unendlich viel Zeit auf dieser Welt. Ein Mann vom Beerdigungsinstitut hat mal gesagt: „Lebe auf dieser Welt immer gut und beständig, denn hier bist du länger tot als lebendig.“ Und damit hat er ja nicht ganz unrecht. Wenn wir uns dessen bewusst werden, fangen wir vielleicht etwas mehr an, die Tage zu genießen und jeden Tag als Geschenk zu sehen, anzunehmen und zu nutzen.